Tote auf der Balkanroute: Vermisst, verscharrt, verdrängt

2015 überrollt ein Zug in Mazedonien 14 Flüchtlinge. In Europa ist dieses Unglück nicht einmal eine Randnotiz. Recherchen vor Ort zeigen: Die Ermittlungen wurden schnell eingestellt, nicht alle Augenzeugen befragt. Wie der 19-jährige Afghane Mahdi Mohebi aus Bremen. Er hat das Unglück überlebt. Von seinem Bruder jedoch fehlt jede Spur: Hat der Zug seinen 14-jährigen Bruder verletzt, getötet? Wenn ja, was ist mit seinen sterblichen Überresten geschehen? Statt aufzuklären und zu helfen, schob die mazedonische Polizei Mahdi Mahebi sofort zurück nach Griechenland ab: Ein klarer Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, wie die Kritiker sagen. Informationen und Hinweise zur Identifizierung der unbekannten Toten werden von den mazedonischen Behörden bis heute zurückgehalten. Kein Einzelfall, doch kaum jemand traut sich, die Verantwortlichen anzuklagen. Anders die Eltern des sechsjährigen Mädchens Madina Hussiny. Sie starb an der kroatisch-serbischen Grenze in Folge eines Pushbacks, einer polizeilichen Sofort-Abschiebung. Ihre Eltern klagen an, ihre Tochter hätte nicht sterben müssen, wenn es Rechtsstaatlichkeit an der kroatischen EU-Außengrenze gegeben hätte. Die Eltern erleben einen weiteren Schock. Denn statt den Fall aufzuklären, versucht die Regierung in Zagreb, genau das Gegenteil zu erreichen. Fast überall entlang der Balkanroute gehören Tote zum Alltag: Menschen, die erfrieren, die vor Erschöpfung zusammenbrechen, die Opfer von Gewaltverbrechen werden. Genaue Zahlen gibt es nicht, nirgendwo in Europa eine Stelle, die Zahlen fortlaufend zusammenträgt und jeden Fall prüft. In Deutschland leben mehrere Flüchtlingsfamilien, die ihre Angehörigen vermissen und annehmen müssen, dass sie auf der Balkanroute ums Leben gekommen sind. Es sind Familien, die 2015 über diesen beschwerlichen Weg nach Deutschland gekommen sind. Nach ihrer Ankunft wenden sie sich an die deutsche Polizei, berichten dem BAMF, dass es von ihren Verwandten auf der Balkanroute kein Lebenszeichen mehr gibt. Hilfe jedoch bekommen sie nicht. Keiner fühlt sich zuständig. Der Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes ist zwar bereit zu helfen, ist jedoch auf eine Kooperation der Behörden im In- und Ausland angewiesen. Die aber gibt es nur selten. Der Film belegt: Es wird so gut wie gar nicht hingeschaut, wenn Flüchtlinge in Deutschland sich seit Jahren mit der Ungewissheit um den Verbleib ihrer Familienmitglieder quälen. Einige halten das leidvolle Warten nicht mehr aus: Sie wollen zurück auf die Balkanroute, um ihre Kinder und Geschwister zu finden. Ein Filmteam hat sie auf ihrer Spurensuche begleitet und die Behörden vor Ort konfrontiert. Werden die Angehörigen Antworten auf ihre drängendste Frage finden: Was geschah mit ihren Familienmitgliedern? Der Film zeigt auf, welchen Stellenwert Rechtsstaatlichkeit und Menschenwürde einnehmen, wenn es um den Umgang mit toten Geflüchteten und ihren Angehörigen geht.

Documentary 43 minutes
Director: Darko Jakovljevic
DoP/Steadicam Operator: Nikola Krivkuca
Editor: Astrid Harms–Limmer
Editing: Xenja Kupin
Color Grading: Sebastian Giertz
Sound Recordist: Novica Krstic, Matthias Kofahl
Sound Mix: Dieter Desinger
Bayerischer Rundfunk 2019

Nominierung Grimme-Preis 2020

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